Kurzbericht  über  den  Vortrag

von  Stephan Procházka

Der »Zar« -

Ein orientalisches Trance-, Besessenheits- und Heilungsritual

                    
   
Professor Stephan Procházka (Institut für Orientalistik der Universität Wien), der uns bereits früher mit einem Vortrag über Magie und Zauberwesen im Islam erfreut hat, hat seine hochinteressanten Ausführungen mit eindrucksvollem Bild- und Videomaterial seines Mitarbeiters Bahram Gharedaghi-Kloucheh, das hier aus copyright-Gründen leider nicht wiedergegeben werden kann, außerordentlich plastisch gestaltet, sodaß auch Personen, die noch nie so ein orientalisches Ritual selbst gesehen haben, einen guten Eindruck erhalten konnten. Freilich geht es nicht nur um den äußeren Ablauf, sondern vor allem um die dem "Zar" zugrunde liegenden Vorstellungen von Geistern und Dämonen.

Der "Zar" (zār) ist ein weit verbreitetes Ritual, man findet den zar an den Küsten der Arabischen Halbinsel, im Persischer Golf, am Shatt al-’Arab, in Ägypten, im Sudan, in Somalia und in Äthiopien; ähnliche Besessenheitsrituale gibt es auch in Ost- und Westafrika, z.B. den Bori-Kult.

Die ersten Berichte über den zār stammen aus dem frühen 19. Jahrhundert aus Äthiopien; der Ursprung des zār steht im Zusammenhang mit einer vorchristlich/vorislamischen kuschitische Gottheit namens Dschar oder Dscharo. Im 19. Jhdt. kam es zur Verbreitung nach Norden und Osten; Mitte des 19. Jhdts gab es viele zār-Sessions in der heiligen Stadt Mekka.

Die Wurzeln des zār sind nicht-islamisch, daher wird er auch von vielen Muslimen abgelehnt, ist sogar teilweise offiziell verboten (abgesehen davon, daß liberale Ansichten den zār als eine Art von Okkult-Betrug charakterisieren).

Eindeutig handelt es sich beim zār um einen Kult von gesellschaftlich marginalisierten Gruppen, nämlich der Frauen und von Schwarzen, d.h. ehemaligen Sklaven.

Die auftretenden "zār-Geister" stellen eine eigene Gruppe von Dämonen dar:
- nicht homogen, sondern verschiedene Gemeinschaften, Familien und Clans
- äthiopische, syrische oder sudanesische zār-Geister.
Die Klassifizierung ist regional sehr unterschiedlich.

Für Ägypten ist das folgende von Bedeutung:
- Allgemeine Bezeichnung Asyād = "Herren" (Einzahl sayyid)
- An der Spitze steht der ginn al-ahmar, der "Rote Dämon" = Sultan der Dämonen, (der auf den zār-Amuletten immer als türkischer Offizier dargestellt wird).
- Mamma, meist mit dem Titel Pascha angerufen, seine Schwester ist Mustaġīta; er ist der Führer einer einflußreichen Dämonenfamilie mit dem Namen Mammāt.
Die "äthiopische Familie" mit Bayyōh = Oberhaupt des Bēt al-Ḥabaš und Sultāna Rīna.
"Die Herren aus dem Sudan", Manzōh zuständig für Opfertiere; al-Gammāl, der Kameltreiber.
Arabische Herren, bes. Beziehung zum Propheten Muhammad.
Es gibt sogar eine Christliche Gruppe = "die Geister des Klosters", z.B. Georg, Maria.
Andere: Toilettengeister, indische und oberägyptische, "die Schulmädchen - banāt al-madrasa".

Somit stellt die Welt der zār-Geister ein wahres Pantheon dar!

Das Ritual wird zumeist von Frauen geleitet, die Ägypten als "Scheicha" bezeichnet werden, in Khuzestan als Māmā-Zār (ein Mann ist dann der Bābā-zār).

Als Heilritual wird der zār bei folgenden Symptomen angewandt:
- Depressionen
- Antriebslosigkeit
- unklare Schmerzen
- Burnout-Syndrom
- Hyperaktivismus
- Unfruchtbarkeit

Wichtige Elemente des Rituals sind die Kursī (zār-Amulette, ‘arūsat az-zār), die Musik, der Feuertanz für as-Sultān al-ahmar und das Schlachtes des Opfertieres (Beschmieren der Anwesenden mit dem Blut) und am Ende des (allerdings mit Unterbrechungen) oft mehr als 24 Stunden dauernden Rituals das gemeinsame Mahl. (In letzterem Kontext ist auch auf die erhebliche ökonomische Belastung der Familie der Patient[inn]en, die die Veranstaltung dieses Rituals mit sich bringt, hinzuweisen.)

 

Ein zār-Amulett
 

vorne hinten
as-Sultān al-ahmar (© Peter Mulacz)

Interessant und wichtig sind die Lieder:
- in Ägypten nur Arabisch
- in Khuzestan auch Amharisch oder Suaheli.
- Arabisches Lied des sogenannten Syrischen Rhythmus aus Khuzestān
- Angerufen werden u.a. Ahmad ar-Rifā’ī, ‘Abd al-Qādir al-gīlānī, ar-Rabī’a al-Adawīya.
Nicht zuletzt hilft der Gesang bzw. die stark rhythmische Musik, einen veränderten Bewußtseinszustand (Trance) herbeizuführen.

Resümee:
Der zār hilft bei psychischen (Angstzuständen, Depressionen, Neurosen) und psychosomatischen Problemen, er stärkt das Selbstwertgefühl des Individuums und den sozialen Zusammenhalt.
Es gilt festzuhalten, daß im Selbstverständnis der Gläubigen das Ritual zur Aussöhnung mit den zār-Geistern dient und vielfach periodisch wiederholt werden muß, wenn die Symptome wieder auftreten.
Der zār-Kult ist als vor-islamisches Residuum ein Bestandteil der Volksreligion und weiters ein typischer Untergrund-Kult von unterprivilegierten Bevölkerungsschichten zwecks Ablassen von psychischem Druck, somit hat er eine wichtige soziale Rolle, ist aber von den Behörden teilweise untersagt (was das Element des "Untergrundes" noch unterstreicht).

In der Diskussion  ist es vor allem darum gegangen, die Unterschiede hervorzuheben, die in den Vorstellungen über Geister (bzw. Dämonen)
- in der Welt des zār
- im Islam überhaupt
- im (traditionellen) Christentum
- und im Spiritismus
herrschen bzw. wie jeweils mit "geistigen Wesenheiten", an deren Existenz geglaubt wird, umgegangen wird.
Insbesondere die Ideen von Um- und Besessenheit sowie Exorzismus, wie sie nach wie vor in der katholischen Kirche präsent sind, sind deutlich anders als die dem zār-Ritual zugrunde liegenden, wo es keineswegs um Austreibung, sondern primär um Aussöhnung bzw. friedliche Koexistenz geht. Die spiritistischen Anschauung sind freilich nicht einheitlich; jedenfalls ist die Idee von Medialität als temporärer und voluntärer Besessenheit (man denke an Wickland) auch eine, die dem Wesen des zār völlig fremd ist.

Wieder einmal war es ein Vortrag, der dazu angetan war, den Horizont der Hörer zu erweitern und die Ideen des eigenen Kulturkreises bzw. solche aus der Vorgeschichte der Parapsychologie mit den Ideen anderer Völker zu vergleichen.

        


                

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